15.11.-03.12.2023
Klick auf Fotos für Großformat

Heftiger Wind wirbelt den Wüstensand auf und es wird verständlich, weshalb hier fast jeder Mann seine Kufiya, das gemusterte Tuch der Araber, dicht um den Kopf wickelt, so dass nur noch die Augen frei bleiben. Mit denen allerdings wird jedes Tier hier auf dem Kamel-Markt von Al Ain kritisch und fachmännisch begutachtet, eingeschätzt und bewertet. Unzählige Kamele unterschiedlicher Rassen stehen in den zahllosen Gehegen, mitunter dichtgedrängt oder auch vereinzelt, z. B. ein Muttertier mit seinem Baby-Kamel.
Sehr früh haben wir uns aufgemacht und sind mit dem Taxi weit aus der Stadt hinaus gefahren, da bereits um sechs Uhr morgens der Handel dort beginnt. Und nicht nur Kamele, sondern auch Schafe, Ziegen, Geflügel werden hier feilgehalten und wechseln im günstigen Fall die Besitzer. Dominiert aber wird die Szenerie von dem Geschehen im Zentrum der Kamel-Gehege
Neue Kamele werden auf Pick-Ups angeliefert, offensichtlich erworbene mit Hubkränen, in einer wenig tierfreundlichen Praxis an den Knien gefesselt, auf LKW-Pritschen zum Abtransport verladen – ob auf den Schlachthof, in den Rennstall oder den ‚Camel Beauty Salon‘ erschließt sich dem unkundigen Beobachter wie mir nicht. Größtenteils gelassen und fast lethargisch lassen diese friedlichen Tiere jedenfalls diesen Prozess über sich ergehen.
Besonders interessant, wenngleich gleichermaßen undurchsichtig ist der Vorgang der Verkaufsverhandlung. Das Feilschen und die schließliche Einigung über den vereinbarten Handel läuft offenbar nach einem bestimmten Ritual ab, dessen einzelne Schritte aber nur schwer zu identifizieren sind. Am Stolz und dem zufriedenen Lächeln der Protagonisten lässt sich am Ende allerdings ablesen, dass wohl für beide Seiten ein guter Deal zustande gekommen ist.

Al Ain, das wir erst im zweiten Anlauf mit einem ziemlichen Umweg über den einzigen für uns europäische Radfahrer zugelassenen Grenzort Kathm-Al-Shiklah hatten erreichen können, hat allerdings nicht nur seinen ‚Cattle Market‘ zu bieten. Diese Oasenstadt, eine der weltweit ältesten und durchgehend besiedelten Stätten, bildet, gemeinsam mit der durch eine Grenze getrennten omanischen Hälfte Buraimi, das Herz der Emirate, wovon viele Sehenswürdigkeiten zeugen. Neben den imposanten Forts Al Jahilil und Al Muwaij ist da vor allem die Al Ain-Oase, mit 21.000 Palmen und dem sehr gut erhaltenen Gebäudekomplex im Westen der Stadt eine der kleinsten, aber auch schönsten von Al Ain.
Diese Oase wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts von Scheich Zayid bin Chalifa I. und seinem Sohn Scheich Chalifa bin Zayed A Nahyan angelegt und von den Nachfolgegenerationen erweitert und verschönert und hat heute den Status eines UNESCO-Weltkulturerbes. Seine Bewässerungsanlage sind ein Zeugnis der hohen Ingenieurskunst seiner Epoche. Erfreulicherweise liegt sie gleich gegenüber unserer Herberge, von der aus wir die Stadt ein wenig erkunden, bevor wir uns in drei Wüstenetappen aufmachen auf den Weg nach Abu Dhabi, eine Fahrt, mit gleich mehreren besonderen Erlebnissen:
- Schon auf der ersten Etappe werden wir bei unserer üblichen Vesperpause mit Cola und Keksen von einem distinguierten älteren Herrn eingeladen, uns weitere Getränke und Leckereien auf seine Kosten auszusuchen.
- In diesen Vorgang mischt sich der im Englischen äußerst eloquente, gebildete junge Rashid und lädt uns in das feudale Anwesen seines Vaters ein, dem Mittelpunkt der offensichtlich recht wohlhabenden und mit sechs Söhnen großen Familie. Der von der eleganten Herrin des Hauses arrangierten Bewirtung mit Datteln, frischem Obst, Kaffee, Tee, Gebäck bei gepflegtem Small-Talk und schließlich noch einem köstlichen Mittagessen folgt die Präsentation der durchaus beeindruckenden Attribute des Reichtums, der im arabischen Raum üblichen Statussymbole: der umfangreiche Fahrzeugpark von PS-starken SUVs, ein seltener Mercedes-Coupé-Oldtimer, eine Volière mit exotischen Vögeln und schließlich ein besonders schöner weißer Falke, Geschenk des Präsidenten an den Vater. Und natürlich hat man eine Rinderherde, Kamele und Rennpferde.
- Die Fahrt, die wir bewusst nicht über den Seitenstreifen des Highways 30, sondern bevorzugt über die teilweise parallel laufende ‚Service Road‘ vornehmen, führt uns durch großartige Sanddünen-Landschaften wie auch durch menschenleere Abschnitte mit endlosen Plantagen. Aber auch längere Schotterstrecken mit dem berüchtigten Wellblech-Profil sind zu bewältigen. Die letzten Körner auf der zweiten Etappe verlieren wir dabei auf einem sechs Kilometer langen Abschnitt durch die Khatim-Wüste, sodass wir an dessen Ende hinter einer Moschee und Tankstelle völlig erschöpft gleich unser Zelt aufschlagen.
- Die Einfahrt in das schon von weitem mit seiner Skyline beeindruckende Abu Dhabi wird erheblich beeinträchtigt durch riesige Baustellen, die unsere GPS-App noch nicht kennt. Die uns durch den Leiter der Baustellensicherung, der uns nachdrücklich von den zwar fertiggestellten, aber noch nicht freigegebenen Straßen weist, vorgegebene Ausweichroute führt zu einer deutlichen Verlängerung der Tagesetappe, die wir dennoch dank eines günstigen Windes frühzeitig am Nachmittag beenden können.
- Im gebuchten Airbnb-Etablissement angekommen finden wir einen tief schlafenden Bewohner vor, den ich aus der Enttäuschung über das nicht erreichbare herbeigesehnte sofortige Duschbad heraus in recht unsanfter Form aus seinem Schlaf reiße. Nach Abmindern seiner verständlichen Verärgerung stellen wir beide schnell fest, dass ein Organisationsfehler des Vermieters zu dieser peinlichen Situation geführt hat. Zum Glück erhalten wir ein sogar noch schöneres Ausweichquartier mit traumhaften Ausblick.
Der Aufenthalt in Abu Dhabi beginnt gleichermaßen mit außergewöhnlichen Erlebnissen, denn als großer Zufall ergeben sich zwei Treffen, einmal mit einem guten Freund aus gemeinsamer beruflicher Zeit, zum anderen mit dem unter Langstrecken-Trekkingradlern gut bekannten Peter Richter, der auf seiner auf 4-5 Jahre ausgelegten Reise nahezu zeitgleich mit uns Abu Dhabi erreicht.
Abschluss unseres Aufenthalts in dieser stark aufstrebenden Hauptstadt der Emirate bildet eine Sightseeing-Radrundfahrt. Dabei hat es den Anschein, dass Abu Dhabi im Wettbewerb mit Dubai versucht, vergleichbare architektonische und infrastrukturelle Superlative zu schaffen, was aber wohl nur ansatzweise gelingt und wo noch deutlich Aufholjagd betrieben werden müsste. Uns reicht allerdings das Gesehene und Erlebte, uns durch den Kontrast zu den bisher bereisten menschenarmen und zum Teil lebensfeindlichen Regionen mit ihren kargen Wüsten und wilden Bergregionen, armseligen Fischer- und Bergdörfern sowie historischen Städten und Burgen den Atem zu rauben ob der Moderne, der Dynamik und des Reichtums dieser Metropole.
Den Tipps unserer Abu Dhabi-kundigen Freunde folgend entscheiden wir uns zu meinem Geburtstag für zwei exklusive Lokalitäten: den Aperitif nehmen wir in der Bar des wohl besten Hotels der Welt, dem ‘Emirates Palace Hotel’, in dem mir die Bar-Crew sogar ein Ständchen sowie ein wunderschönes Stück Kuchen bringt. Und zum Dinner lädt mich Astrid ins ‘Li Beirut’, dem angeblich angesagtesten libanesischen Restaurant der Emirate ein, wo ich ebenfalls mit Ständchen und Kuchen gefeiert werde. Letzteres sollte noch seine Folgen haben.

Für die Weiterfahrt nach Dubai entscheiden wir uns für eine etwas längere Wüstenstrecke anstelle der kürzeren Küstenroute, die uns überwiegend durch dicht besiedeltes und vom Motorverkehr geprägtes Gebiet führen würde. So setzen wir uns nach der erholsamen Ruhepause in Abu Dhabi wieder auf unsere Räder, passieren neben einer zusammen mit dem Weltumradler Michael Evertz zur Weltklimakonferenz pilgernden Radlergruppe die vom akuten Rennen dröhnende Formel1-Strecke und erreichen nach der zweiten Etappe den idyllischen in der von großen Plantagen durchzogenen Qudra-Wüste gelegenen Flamingo Lake. Er gehört zu einem Ensemble von in einer Oase künstlich angelegten Süß- und Salzwasser-Seen, das als Ausflugs- und Vogelschutz-Resort aufwendig gestaltet und unterhalten wird.
Der Umweg dorthin durch die erbarmungslose Wüstenhitze ist zwar recht mühsam, aber die Mühe wert. Den Schock allerdings bei unserer Ankunft dort, dass entgegen den vorab erhaltenen Informationen Zelten in dem Resort verboten ist, überwinden wir schnell, indem wir entschließen, das Verbot einfach zu ignorieren, und richten uns nach Einbruch der Dunkelheit unter zwei Wüstenakazien-Büschen am Seeufer diskret ein, ohne dass auch nur einer der Offiziellen Anstoß daran nimmt.
Etwa ein Drittel dieser Strecke sowie den größten Teil der letzten Etappe, die uns in das Stadtgebiet Dubais führt, fahren wir über den großartig und teilweise geradezu verschwenderisch angelegten Dubai Cycling Course. Auf dem Weg in Richtung Dubai begegnen wir vielen Rennradlern und Rennradlerinnen, die uns nahezu ausnahmslos freundlich grüßen und erkennbar Respekt zollen.
Die Küste erreichen wir unterhalb des Burj Arab und am wunderbaren, extrem gepflegten, weitläufigen und von vielen Touristen und Ex-Pats in für arabische Länder ungewohnter Freizügigkeit genutzten Jumeirah Beach, dessen Verlockung eines erfrischenden Bades auch wir nicht widerstehen können und so die Ankunft in unserer Bleibe für die Tage bis zum Heimflug um ein ausgiebiges Eintauchen in den Persischen Golf hinauszögern.
Auf dem Weg dorthin kommen wir aus dem Staunen über die architektonischen Superlative und die Vielzahl der geradezu ikonischen Gebäude, Brücken und Anlagen nicht hinaus. Noch zum Ende des Jahrtausends, bei meinem letzten Besuch dieser aufstrebenden Metropole bestand Dubai aus sich im wesentlichen auf einer Hauptachse aufreihenden Wolkenkratzern, der Burj Arab stand wie ein Solitär in freier Umgebung und die Business Bay war eher ein gemütliches Vergnügungsviertel. Wie sehr hat sich das in nur einem Vierteljahrhundert gewandelt!
Mit unseren Fahrrädern navigieren wir so unter vielen Fotostopps nur zögerlich durch die Hochhausschluchten zu dem gebuchten Airbnb-Apartment. Dort angekommen und eingerichtet haben Organisation von Verpackung und Transfer unserer Räder für den Flug nach Deutschland für uns erste Priorität und sind glücklicherweise schnell erfolgreich abgeschlossen, sodass wir uns nun auf die Sehenswürdigkeiten Dubais, die großzügige Einladung eines alten guten Geschäftsfreundes und die Ereignisse des 52. Jahrestages der Gründung der Vereinigten Emirate am 02. Dezember, einen Tag vor unserer Abreise quasi als imposantes Farewell, freuen können.