Noch eine Radreise?

Sind wir eigentlich noch auf einer Radreise mit Zelt? Diese Frage scheint berechtigt, nachdem wir aus verschiedenen Gründen unsere ursprüngliche Planung haben anpassen, ändern oder verwerfen müssen. Welche waren diese:

  • Als erstes war da die rund dreiwöchige Hitzewelle auf dem Balkan, die es uns bei Temperaturen von bis zu 38° C unmöglich machte, Tagesetappen mit den vorgesehenen +/- 80 km zu bewältigen. Erforderliche Pausen in der Tagesmitte von 2-3 Stunden an schattigen Orten bedeuteten 30-40 km/Tag, die uns am Ende fehlten. So mussten wir Distanzen anders als auf dem Fahrrad bewältigen, um nicht völlig aus dem Zeitplan zu fallen.
  • In der Türkei lag unserer Routenplanung ein Fehler zugrunde, wodurch die Strecke zum für uns unverhandelbaren Ziel Kappadokien zu kurz bemessen war. Die rechtzeitige Korrektur führte zu deutlicher Routenverlängerung. Hinzu kam, dass die Topografie Anatoliens verbunden mit der nicht erwarteten Hitze ebenfalls Tagesdurchschnitte von 80 km nicht zuließ. So mussten wir auch hier die Strecke aus der Mitte der Türkei nach Israel mit anderen Verkehrsmitteln überwinden. Das führte zusätzlich zu Ruhetagen, die durch Wartezeiten auf kostengünstige Verbindungen entstanden.
  • In Israel kamen dann gleich zwei Faktoren zusammen: Die Lebensfeindlichkeit und Topografie der Negev-Wüste auf der Westseite des Toten Meeres sowie der unerwartete Ausbruch des Gaza-Streifen-Kriegs, während wir noch im Westjordanland weilten. Beides ließ uns unseren Aufenthalt in Israel abkürzen und den letzten Teil der Strecke in einem Überlandbus überwinden. Besonders wichtig und zum Glück rechtzeitig für die Weiterreise war aber die Erkenntnis, dass uns die klimatischen und topografischen Gegebenheiten auf der vorgesehenen Route an gesundheitliche und Leistungsgrenzen führen, eine Belastung mit Risiken, die wir in jedem Fall zu vermeiden entschlossen waren.
  • Das führte zu der glücklicherweise getroffenen Entscheidung, in Jordanien die Felsenstadt Petra und das Wadi Rum nicht radelnd, sondern mit einem Reiseservice-Unternehmen zu erkunden. Zahlreiche Passagen auf dem Weg nach Petra mit Steigungen im Wadi Musa von über 20 % und tiefe Sandpisten in der Wüste Wadi Rum wären unmöglich mit einem hochbeladenen Trekkingrad zu bewältigen gewesen.
  • Das und entsprechende Ratschläge und Erfahrungsberichte sowie auch die Unsicherheit über eine eventuelle Ausweitung der Kriegssituation im Nahen Osten führten dann zu der Entscheidung, die rund 2.500 km lange Strecke durch Saudi-Arabien auszusparen und von Jordanien direkt in den Oman zu fliegen.
  • Konsequenz dieser Entscheidung wiederum ist, dass wir sieben Wochen früher in unserem Zielland angekommen sind. Hier herrschen nun allerdings noch Temperaturen, welche unsere geplante Radrundreise unmöglich machen, hatten wir doch dafür die kühleren Monate Dezember/Januar vorgesehen. 
  • So planen wir nun die ursprünglich nur als eine mögliche Option nach unserer Radrundreise vorgesehene Erkundung des Landes zunächst per geländegängigem Auto in der Hoffnung, dass wir danach bei dann hoffentlich angenehmeren Bedingungen doch noch große Teile unserer ursprünglichen Radrundtour angehen können.

Deshalb also die Frage: Sind wir noch auf einer Radreise unterwegs? Bisher sind wir an 45 von insgesamt 78 Reisetagen geradelt und dabei 2.400 km von den ursprünglich errechneten rund 8.000; vielleicht werden es noch 3.000.

So scheint es, dass wir ziemlich abgewichen sind von dem Vorhaben, unsere Reise weitestgehend ökologisch und mit kleinem Budget durchzuführen. Zugfahrten, Flüge, Hotelübernachtungen, organisierte Exkursionen, Restaurantessen und Leihwagen waren zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, im aktuellen Umfang aber nicht wirklich eingeplant – weder organisatorisch noch finanziell.

Aber stellt sich deshalb überhaupt die Frage, ob wir uns noch auf einer Radreise befinden, die wir ja als solche geplant und definiert haben?

Ich finde nein, denn unsere Reise bisher ist einfach großartig! Sie ist voller neuer Eindrücke, herrlicher Erlebnisse und wundervoller Begegnungen, wie sie in dieser Form und Dichte wohl nur auf Individual-Reisen mit zumindest teilweise alternativer Fortbewegung auf dem Fahrrad möglich sind. Die Optionen anderer Verkehrsmittel hatten wir von vorne herein mit vorgesehen, wenn es die Umstände erfordern oder sinnvoll erscheinen lassen. Hier liegt schließlich auch der Vorteil des individuellen Reisens: sich spontan anders entscheiden und umplanen zu können je nach Gegebenheiten, sich ändernden Rahmenbedingungen oder Prioritäten. Entscheidend ist, dass wir Begeisterung und Glück erleben und mit einem riesigen Bündel an wunderbar Erlebtem wieder heimkommen werden. Und das ist gewiss!

3 Replies to “Noch eine Radreise?”

  1. Natürlich seid ihr mit dem Rad unterwegs. Erst wenn ihr eure Räder nach Hause schicken und ohne weiterreisen würded, wäre es eine noch immer etwas andere – da keine Pauschalreise.

    Ihr macht aus allem das Beste. Und ihr genießt offenbar weiterhin jeden Tag einer mehr als ungewöhnlichen Reise.

    Was ihr in relativ kurzer Zeit erlebt habt, erleben andere in ihrem ganzen Leben nicht.

    Seid gegrüßt und beneidet.

    Liebe Grüße

    Manfred

  2. Flexibilität und Anpassung sind wohl Schlüsselqualifikationen, die man auf solch eine ‚Abenteuerreise‘ im Gepäck haben muß. Und das habt ihr zweifellos. Es ist doch nicht wichtig, ob es noch eine Radreise ist, es ist eine Erlebnisreise, die durch äußere Umstände angepasst werden mußte. Auch diese widrigen Umstände werden die Erinnerungen untermauern und euch unvergesslich bleiben. Auf jeden Fall noch Spaß weiterhin.. die Fotos von Petra und die Erläuterungen waren ein Genuss.
    Liebe Grüße aus Wuppertal Christa

  3. Was ist Jazz ohne Improvisation?
    Was ist eine Individualreise, wenn alles nach Plan verläuft?
    Sich was trauen und dabei seine Grenzen im Blick behalten. Da kann ich nur von lernen. Weiter so … auch ich beneide Euch.
    LG Hans Dieter

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert