Türkei – eine neue Liebe

03.-27.09.2023

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Frisch weht beim Aufwachen der kühle Morgenwind durchs Moskitonetz ins Zeltinnere, sodass wir uns noch einen Moment tiefer in den Schlafsack einmummeln, wohl wissend, dass es nur ein kurzer Moment ist, bis die Strahlen der gerade erst aufgegangenen Sonne uns aus dem Zelt treiben werden. 

Ich mag nicht aufstehen!
Frühstücksgäste

Seit dem heftigen Platzregen bei unserer Ankunft in Yalova, das wir von Istanbul aus dem Stadtverkehr der Metropole ausweichend mit der Fähre erreicht haben, und abgesehen von einem kurzen Gewitter-Intermezzo wenige Tage später, das in umliegenden Regionen zum Teil erheblichen Schaden anrichtete, uns aber weitgehend verschonte, lacht die Sonne aus wolkenlosen Himmel und beschert uns während der Wochen in der Türkei tagsüber durchgehend hochsommerliche Temperaturen.

Schutz vor dem Gewitterregen
Jeck im Rähn (Regen)

Und so läuft dann auch an diesem Morgen alles in gewohnter Routine ab: Wasser für Astrids Morgenkaffee und Herberts Tee auf den Gaskocher aufsetzen, Müsliportionen mit frischem, kleingeschnittenen Obst und Joghurt oder Kefir und Brote für die tägliche Zwischenmahlzeit anrichten. Das ist alles Herberts Aufgabe, während Astrid beginnt, Schlafsäcke und Isomatten einzurollen. So vergehen jeden Morgen zwischen Aufwachen, Frühstück, Morgentoilette und dem anschließenden Bepacken der Räder bis zum Aufbruch rund zwei Stunden.

über Anatoliens Höhen
gute Stimmung

War die Fahrt durch Südosteuropa entlang der Donau, von kurzen Off-Road-Abschnitten, vereinzelten kurzen Kletterpartien und der großen Hitzeperiode abgesehen, bis zu unserer Zugfahrt von Widin, Bulgarien nach Istanbul eher eine Spazierfahrt, so gestaltet sich die Weiterfahrt in der Türkei zu einer echten topografischen Herausforderung. Zwischen uns und dem 750 km und fast 7.000 m kumulierte Höhenmeter entfernten Ziel Kappadokien türmen sich unzählige steile Berganstiege auf, die uns immer wieder höchste Anstrengungen abverlangen. Steigungen von 6-10 % und darüber, vereinzelt gar bis zu 18%, sind nahezu alltäglich und lassen uns bald erkennen, dass unsere ursprünglich bewährte Faustformel von durchschnittlich 75-80 km pro Radeltag oder 400 km pro Woche nicht einzuhalten ist. Anpassungen unserer geplanten Routen und Abläufe sind so unausweichlich, bereiten uns aber keine Probleme, auch wenn vereinzelt Schnellstraßen-Abschnitte zur Reduzierung der Höhenmeter-Zahlen eingeschoben werden müssen. Den Versuch, darauf zu verzichten, müssen wir unmittelbar bitter bezahlen: eine von Komoot als alternative Radroute ausgewiesene Wegstrecke erweist sich als ein extrem steiler, total ausgewaschener Feldweg von insgesamt 8 km Länge mit teils über 18% Steigung, insgesamt absolut unbefahrbar und von uns letztlich nur mit fremder Hilfe – spontan gewährte Schleppdienste durch einen Motorradfahrer und separater Gepäcktransport zur Passhöhe durch einen freundlichen Autofahrer – zu bewältigen. 

willkommene Hilfe
hilfreicher Gepäcktransport bergauf
oben angekommen
Gott-sei-Dank nur 10%

Belohnt werden unsere Anstrengungen dennoch immer wieder und mindern so das Leiden am Berg. Da ist zum einen die Landschaft, die uns in ihrer Vielfältigkeit und Schönheit stets auf neue einnimmt, zum Anhalten und Verweilen, Bewundern und Genießen in unserem Bestreben voranzukommen einhalten lässt:

  • Der Rückblick nach 13%-Anstieg in die dicht bewaldeten Berge auf den im Sonnenlicht tiefblau-schimmernden Iznik-See;
Blick auf den Iznik-See
Wolken-Intermezzo
  • der 360°-Rundblick über Anatoliens sanfte Bergketten, im Gold der scheinbar grenzenlosen abgemähten Getreidefelder glänzend;
Anatoliens Berge
Herdentrieb
  • sich bis zum Horizont weit ausbreitende Täler und Ebenen, teilweise eingegrenzt durch bizarre Felsformationen, durchwandert von großen Schaf-, Ziegen- und Rinderherden und aufgelockert durch kleine, mitunter gar armselige Dörfer oder Ortschaften mit ihrem traditionellen Leben und das Weichbild stets beherrschenden Moscheen; oft sind sie umgeben vom Grün der Obst-, Oliven oder Haselnussplantagen oder kleinen Weingärten, aber auch mit großen Ziegel- und Betonfabrikanlagen, einer der wichtigsten Industriezweige Anatoliens;
auf dem Dorfteich
weiter Blick
im Abendlicht
die ‚Standard-Moschee‘
  • als Krönung schließlich der im Sonnenlicht gleißend-weiße Tuz Gölü, einer der weltgrößten Salzseen, der rund 60 % des Salzbedarfs der Türkei abdeckt und leider nicht mehr die einst vorhandene, mittlerweile ausgestorbene Flamingo-Population beheimatet.
Salzsee Tuz Ögül
Damm über den Tuz Ögül
Salzsee Tuz Ögül

Aber auch der Besuch der Städte, in denen wir kurze Ruhepausen mit Flick- und Putzarbeiten einlegen, fasziniert, jede davon mit eigenem Charakter und Charme: 

  • die vielleicht gar schon 4.000 Jahre alte, 1.000 v. Ch. von Phrygiern gegründete, heute moderne, fast westlich anmutende, wunderschöne und lebhafte Universitätsstadt Eskişehir, in der bei den überwiegend inländischen Touristen beliebte Gondelfahrten auf dem Porsuk einen Hauch von Venedig vermitteln;
Gondelfahrt in Eskişehir
Stadtgespräch
Gondelfahrt in Eskişehir
in Eskişehir
  • die für ihre Thermalquellen und -bäder bekannte Kleinstadt Haymana im Herzen Anatoliens, die von äußeren Einflüssen scheinbar unberührt türkisch-kurdische Identität besitzt, und in der mit Leki vielfach eine Sprache gesprochen wird, die man sonst nur noch im Iran findet;
in Haymana
verlockendes Angebot
verlockendes Angebot
unser Thermal-Hotel
Chillen in Haymana
Fladenbrot-Zubereitung
  • die aufgrund der sie umgebenden einzigartigen Topografie vom internationalen Tourismus beherrschte, auffallend moderne und saubere Stadt Nevşehir, unsere letzten Station in der Türkei, nachdem wir uns entschlossen haben, hier einen längeren Aufenthalt zur Besichtigung der zum UNESCO-Weltnaturerbe gehörenden Attraktionen Kappadokiens einzulegen und danach direkt nach Tel Aviv, Israel weiterzufliegen.
Blick auf Nevşehir
unsere Bleibe in Nevşehir

Umfasste der Begriff Kappadokien früher das Land zwischen Taurus und dem Schwarzen Meer, versteht man darunter heute mehr die vulkanisch geprägte Landschaft zwischen den Städten Avanos im Norden und Niğde im Süden. Beherrschend im Landschaftsbild sind die außergewöhnlichen durch Vulkanemissionen und Erosion entstandenen Felsformationen sowie die aus den Felsen herausgehauenen Höhlen. Eine weitere Attraktion stellen die erst in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts entdeckten unterirdischen Städte dar, deren Ursprung rund 5.000 Jahre zurückliegt und die in Zeiten der Christenverfolgung 1.000 n. Ch. dreitausend und mehr, angeblich sogar bis zu fünfzigtausend Menschen als sicheres Versteck gedient haben. 

Kappadokien
Kratersee in Kappadokien
‚das Kamel‘
Kappadokien
Posing
Kappadokien
Kappadokien
in der Untergrund-Stadt
im Tal der Liebe
Posing

Drei Tage haben wir dem Besuch dieser einzigartigen Landschaft gewidmet mit dem absoluten Höhepunkt, der Heißluftballonfahrt in den Sonnenaufgang, ein unvergessliches und unvergleichbares Erlebnis.

auf zur Ballonfahrt
Brautkleid-Schow
Blick aus 500 m
atemberaubender Ausblick
Tal der Liebe
Ende einer Ballonfahrt

Neben diesen einzigartigen landschaftlichen und kulturellen Eindrücken sind es aber die uns immer wieder neu berührenden Begegnungen mit den Menschen, deren bedingungslose Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft, die uns nachhaltig bewegen und in der Erinnerung verhaftet bleiben wie zum Beispiel:

  • die Fernfahrer-Familie am Iznik-See, die uns, während wir unser Zelt unter den Pinien am Strand aufbauen, zu ihrem Picknick einlädt und uns mit köstlichem Essen und wertvollen Routentipps versorgt;
am Iznik-See
freundliche Picknick-Einladung
  • der ältere Herr, der uns im ersten kleinen, traditionellen Dorf, das wir nach dem Aufbruch aus Yalova erreichen, zum Tee einlädt und uns gleich in höflicher Form darauf hinweist, dass es nicht angemessen sei, dass Astrid, also eine Frau, die türkische Fahne an ihrem Rad habe, sondern sie an Herberts Rad gehöre – ein Ratschlag, den zu ignorieren wir uns dennoch entscheiden;
  • die fließend deutsch-sprechende Tourismusmanagerin Birgül aus Oldenburg, zu Besuch bei ihrer Familie in dem kleinen Flecken Yenimehmetli auf dem einst von ihrem Vater mit über 1.000 ha großen und nun von ihren Brüdern geführten landwirtschaftlichen Betrieb; sie lädt uns nicht nur zu sich auf den Hof ein, sondern ist uns auch entscheidend bei der organisatorischen Vorbereitung unseres Weiterflugs nach Israel und des dabei notwendigen Fahrradtransports behilflich;
Birgül und ihr Zwillingsbruder
Hof von Birgüls Familie
  • die Besatzung des Unfallbereitschaftsdienstes in Acipinar, die uns zunächst deutlich macht, dass das per Wasserschlauch im Garten abgezapfte Wasser nicht trinkbar sei, uns dann aber nicht nur aus ihrem Vorrat an Trinkwasser versorgt, sondern uns gleichzeitig noch zu einem üppigen Abendessen einlädt, perfekt getimet für unseren Hochzeitstag; außerdem dürfen wir unser Zelt im gepflegten Vorgarten der Station aufbauen und natürlich die vorhandenen sanitären Anlagen benutzen;
in der Unfall-Bereitschaft
in der Unfall-Bereitschaft
Zeltplatz an der Unfall-Bereitschaft
in der Unfall-Bereitschaft
Hochzeittagsmal
Frühstück an der Unfall-Bereitschaft
  • die fröhlichen Inhaber und Mitarbeiter des Fahrradfachgeschäfts ‚DMK Bisiklet‘ in Nevşehir, die uns nicht nur die Kartons für den Flugtransport unserer Räder stellen, sondern auch gleich die fachgerechte Verpackung und den Transport in unser Hotel vornehmen;
hilfsbereiter Fahrradladen …
… in Nevşehir
  • die unzähligen freundlichen Einladungen auf ein Glas Tee, meist von mehr oder wenig gut deutsch-sprechenden ehemaligen Gastarbeitern, die wir dennoch des öfteren höflich, aber bestimmt ablehnen müssen, um unseren Reise- und Zeitplan nicht dramatisch zu gefährden.

So verlassen wir die nun über vier Wochen bereiste Türkei bereichert um ein Kaleidoskop an menschlichen und landschaftlichen Eindrücken und Erfahrungen und erfüllt von Respekt und Zuneigung, entstanden aus dem unmittelbaren Erleben der Besonderheiten und Charakteristika von Land und Leuten. 

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